«Wahre Schönheit und Weiblichkeit sind alterslos und nicht künstlich herstellbar» und «Unvollkommenheit ist Schönheit». Diese Zitate zur Schönheit stammen von einer berühmten Ikone, die bis zum heutigen Tag noch als die Verkörperung der Schönheitsideale schlechthin gilt: Marilyn Monroe. Doch behält sie mit ihren Aussagen recht? Ein Gespräch über die Schönheit und deren Interpretationen mit Christophe Christ, dem Facharzt für plastische, rekonstruktive- und ästhetische Chirurgie der Clinic Bellerive.


Frank Joss: Es gibt sie, die absolute Schönheit. Etwas, das Menschen in allen Kontinenten für schön empfinden. Es ist eine Landschaft: sanfte Hügel, weiter Blick, Berge am Horizont, Wasser… Aber meist geht es ja nicht um Natur, wenn wir über Schönheit nachdenken. Sondern um uns selbst. In Ihrem Beruf als Arzt für plastische Chirurgie werden Sie wahrscheinlich mit vielen Idealen der Schönheit konfrontiert. Gibt es einen gemeinsamen Nenner, nach was Ihre Klientel sucht?

Christophe Christ: Selten werde ich direkt mit der Frage nach Schönheit konfrontiert. Meistens stören sich die Patientinnen oder Patienten an einem eingebildeten oder tatsächlichen anatomischen Defizit, zu kleine Brüste, zu grosse Höckernase etc. Mit der Korrektur des Defektes kann ein besseres Aussehen erzielt und somit meistens in den Augen der Patientinnen und Patienten und auch der Umgebung mehr Schönheit hergestellt werden. Meistens muss ein Zuviel oder ein Zuwenig oder ein Symmetrie-Defizit ausgeglichen werden.

Gerne sagen politisch korrekte Menschen, dass innere Werte zählen, nicht das Äussere. Gleichzeitig beweisen zahllose Studien, dass Lehrer schöne Kinder bevorzugen und dass schöne Menschen eher Karriere machen als weniger schöne. Und das nicht erst seit gestern: In Märchen sehen die Prinzessinnen ja auch immer wunderbar aus. Haut so weiss wie Schnee, Haar so schwarz wie Ebenholz. Warum können wir uns dem Prinzip der normativen Ästhetik der Schönheit nicht oder nur kaum entziehen?

Wie Sie sagen, gibt es zahlreiche psychologische Studien, welche beweisen, dass attraktive Menschen mehr Erfolg im Beruf haben, das heisst, sie machen leichter Karriere und verdienen durchschnittlich mehr Geld als weniger attraktive Menschen mit den gleichen beruflichen Voraussetzungen. Auch in der Liebe haben attraktive Menschen mehr Erfolg. Ich glaube, dass das tiefe Bedürfnis nach Schönheit im Menschen nicht nur erworben, also anerzogen, sondern auch genetisch angelegt ist. Etwas Schönes bewirkt in jedem Menschen ein schönes Gefühl. Natürlich ist leere Schönheit schal und verwirkt sehr schnell. Aber wie Oscar Wilde sagte: “Beauty is just five minutes long if you don’t have anything else to sustain that curiosity.” Schönheit schafft Aufmerksamkeit und Empfindsamkeit.

Hässlich sind Falten vielleicht nicht. Doch sie erinnern an die Vergänglichkeit, auch an die eigene. Das Verblühen ist in dieser Welt nicht willkommen. Das wiederum ist nur naheliegend: Wer will schon mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert werden? Ist es so, dass wir Jugendlichkeit als schön empfinden, weil sie das pralle Leben zeigt?

Jugend verbinden wir mit Gesundheit, Kraft und Unsterblichkeit. Die Zeichen des Alters erinnern uns, dass die Jugend schwindet und das Ende naht. Diese Ansichten sind ein Erbe unserer abendländischen Tradition und Vergangenheit. In der japanischen Kultur finden wir auch andere Ideale. Das schwer zu übersetzende Wabi-Sabi bezeichnet eine Ästhetik des Unperfekten, das sich durch Asymmetrie, Rauheit, Unregelmäßigkeit, Einfachheit und Sparsamkeit auszeichnet. Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit beweisen Achtung vor der Eigenheit der Dinge. Rikyūs Wabicha bevorzugte ausdrücklich eine untergeordnete Form der Ästhetik: „Es gibt Menschen, die eine Sache schon beim kleinsten Mangel ablehnen – mit solch einer Haltung zeigt man nur, dass man nichts verstanden hat.“ Im Vergleich mit der abendländischen Tradition nimmt das einen ähnlich hohen Stellenwert ein, wie das westliche Konzept des Schönen.

Hypothese: Eine Frau kommt in Ihre Klinik, streckt Ihnen ein Bild von Julia Roberts entgegen und meint, so möchte sie gerne aussehen. Was entgegnen Sie ihr?

Das ist nicht mein Alltag, ist aber auch schon vorgekommen. Natürlich sind das Alarmzeichen und machen den Chirurgen vorsichtig. Unsere Möglichkeiten sind limitiert. Das Aussehen eines Menschen wird durch sehr viele Faktoren beeinflusst. Der Aufbau und die Form des Knochens, die Muskulatur, das Unterhautfettgewebe und die Haut bestimmen zu einem grossen Teil das Aussehen eines Menschen. Die Hautbeschaffenheit, das Unterhautfettgewebe, die Muskulatur lassen sich chirurgisch nur sehr beschränkt beeinflussen. Das Anspruchsvolle in der ästhetischen Chirurgie ist immer, dass wir ein perfekt funktionierendes und ansprechend aussehendes Gesicht operieren wollen, damit es nach der Abheilung noch besser aussieht, aber immer noch gleich gut funktioniert. Also der Nutzen, das bessere Aussehen, muss den Schaden und das Risiko von Komplikationen bei weitem überwiegen.

Auf der Webseite der Clinic Bellerive steht «Aber auch ein Detail, welches diese Proportionen und Harmonien durchbricht, kann von grossem Reiz sein und zeugt von Individualität und Einzigartigkeit.» Haben Sie basierend auf dieser Philosophie auch schon jemandem von einer OP abgeraten?

Man macht es sich zu einfach, Schönheit auf Masse, Symmetrien und Proportionen zu reduzieren. Ob wir einen anderen Menschen als schön betrachten, hängt massgeblich von Harmonie, Symmetrie und Proportion sowie der Zugabe einer individuellen Besonderheit, beispielsweise einer Lücke zwischen den Zähnen oder einem mitten im Gesicht platzierten Muttermal, also einer Eigenheit, die Individualität und Charisma verleiht. Somit wird der Reiz des Hinschauens grösser, weil die gesamte Erscheinung nun vielleicht ein bisschen paradox und jedenfalls faszinierend anmutet. Makellose Symmetrie wird – wie umfassende Makellosigkeit überhaupt – als weniger attraktiv empfunden.

Es gibt auch eine philosophische Meinung zur Imperfektion: Platon kommt zum Schluss, dass man deshalb ein menschliches Wesen, das gut ist, aber eine unförmige Gestalt hat, «als ebenmässig annehmen muss». Immanuel Kant verbindet das Schöne ebenfalls mit dem Moralischen, er sieht die Schönheit als äusserlichen Ausdruck der inneren Sittlichkeit. Was antworten Sie den beiden Philosophen?

Das dahinterstehende Ideal des klassischen Griechenlands hiess «Kalokagathie». Damit wird die Einheit des Schönen und Guten ausgedrückt, also die Idealvorstellung der körperlichen und geistigen Vortrefflichkeit eines Menschen. Diese seit Platon gängige Idee der Einheit vom Wahren, Guten und Schönen in einer Person bestimmt Schönheit als Ausdruck einer insgesamt harmonischen und souveränen Persönlichkeit. Die Verbindung von körperlicher Schönheit und geistigen Vorzügen erscheint als gesamthafte Vortrefflichkeit – griechisch «Arete» – eines Menschen, bei dem die Affekte und sittlichen wie geistigen Kräfte in einem ausgeglichenen und damit auch als ästhetisch schön empfundenen Verhältnis stehen. Im Mittelalter sprach man von der «schönen Seele». Ein Mensch war schön, weil er gut war – und er war gut, weil er schön war.

Wie genau ein Gesicht oder ein Körper jedoch beschaffen sein muss, damit er als schön gilt, das ändert sich mit den Jahren und Jahrhunderten sehr wohl. Was gilt heute als Mass der Schönheit?

Das Schönheitsideal wurde schon immer auch durch die dominierende Kultur bestimmt. Durch die globalisierte Bilderflut und die Dominanz der abendländische Kultur hat sich das westliche Schönheitsideal weltweit durchgesetzt. Davor gab es lange auch lokale Schönheitsideale.

«Die Auseinandersetzung mit der eigenen Erscheinung und deren Wirkung auf andere Menschen mag unterschiedlich intensiv erfolgen, aber wir kommen nicht um sie herum. Es hilft also nichts, allein auf das Diktat von Idealen zu schimpfen: Wer in dieser Welt lebt, für den ist Schönheit ein Thema. Punkt.» So Waltraud Posch in ihrem Buch «Körper machen Leute». Sie geht darin dem Kult um die Schönheit auf den Grund. Ihr Statement ist nicht ganz falsch, finden Sie nicht?

Meiner Meinung nach ist es kein Kult, sondern Ausdruck der Kultur der Schönheit, ein im Menschen angelegtes Bedürfnis. Es geht ja eigentlich auch nicht um die Wirkung auf andere, sondern um die Wirkung auf uns selbst. Wenn wir glauben, der Busen ist in unseren Augen zu klein, dann ist unsere Wahrnehmung abgeglichen mit der gängigen Norm. Es geht also nicht nur um den Kult der Schönheit, sondern um den Kult des Visuellen.

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