Monoplan – Die Wertschöpfer

Der Mensch hat viele Sehnsüchte: Nach Grünraum und quirliger Stadtdynamik, nach Rückzug und Begegnung, nach Individualität und Gemeinschaft. Daniel Schneider und Philip Wohlfarth von Monoplan Architekten wagen den Versuch, sich einer Architektur anzunähern, die all diesen Ansprüchen gerecht wird. Vielleicht ist die Lösung im Hotelbau zu finden – oder irgendwo in Brasiliens Favelas.

Frank Joss: Ein Ausschnitt aus Ludwig Haslers Leitartikel: «Warum wollen wir dann dauernd weg? Liegt es an uns? An der Stadt? Zu wenig Spielvarianten hier? Die Kulisse ist das halbe Theater. Sie entscheidet mit, welches Stück wir darin aufführen – Lustspiel, Trauerspiel, Schwank, Festspiel. Und – wer baut die Kulissen? Eben. Architekten ziehen nicht nur Bauhüllen hoch, sie basteln an unserer Lebensart, formen unser Rollenbild. Menschen sind keine reinen Geister, wir antworten auf Signale der Umgebung, passen unser Spiel den Kulissen an. Animieren sie uns, leben wir auf. Weisen sie uns ab, dümpeln wir vor uns hin oder rasten aus – oder hauen ab.» Besteht die Wahrscheinlichkeit, dass wir den Nomaden in uns verabschieden und wieder etwas sesshafter werden?

Daniel Schneider: Das Spannende ist ja, dass sich nicht unbedingt die Architektur verändert, sondern die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten. Andersrum ergibt sich aus jedem Trend ein Gegentrend. Die Art, wie wir leben, ist im Gegensatz zu früher sehr virtuell und digital. Früher mussten wir viel reisen, um etwas zu erleben und waren körperlich unterwegs, um einen Kunden zu treffen oder ein Geschäft anzubahnen. Und jetzt haben wir eine Welt, in der wir nur virtuell reisen. Vielleicht ist nun der Gegentrend, dass die Verankerung wieder mehr an Bedeutung gewinnt sowie die Sehnsucht nach lokaler Identität und einer Hülle, die einen umgibt, schützt und ermöglicht, dass man virtuell reisen kann.

Dieses Sich-Zurückziehen in die eigenen vier Wände führt ja auch zu einer gewissen Enge. Macht diese Enge produktiv und kreativ oder klein und unscheinbar? Wie war das bei Ihnen?

Philip Wohlfarth: Vor Corona war es ja ganz interessant, sich dem lokalen Alltag, der im Büro stattgefunden hat, mal zu entziehen und die Ruhe zu suchen. Jetzt wurde Ruhe verordnet und nun beginnt die Sehnsucht nach Kommunikation und danach, wieder Leute zu treffen. Das ist eine sehr situationsgebundene Umkehrung. Ein gutes Beispiel ist unser neues Büro, das wir in zwei Monaten beziehen. Das haben wir vor der Corona-Geschichte angeleiert und dann aber fragten wir uns plötzlich: Brauchen wir jetzt, wo alles virtuell ist, noch diese Flächen? Die Antwort kam schnell: Ja, brauchen wir. Der Mensch ist ein soziales Tier, wir brauchen soziale Kontakte, wir benötigen Identitäten und eben auch Orte, wo man sich treffen kann.

Das ist jetzt sehr distanziert formuliert. Jetzt will ich Ihnen mal auf die Seele knien. Was haben Sie persönlich aus dieser neuen Situation gelernt?

Daniel Schneider: Mir ist bewusst geworden, dass Qualität wichtiger ist als Wachstum. Und dass der zwischenmenschliche Kleister, der uns alle zusammenhält, etwas unheimlich Wertvolles und Einmaliges ist. Die soziale Interaktion von Menschen ist wahrscheinlich einzigartig auf unserem Planeten – bis jetzt zumindest. Wenn man das nun in die Architektur übersetzen würde: Man muss Raumabfolgen, Raumdimensionen und Raumgrössen neu begreifen, damit man Qualität wieder herstellen kann.

Philip Wohlfarth: Bei mir ist es das Bewusstsein, was man wirklich hat. Wir streben in die Ferne und jetzt ist das nicht mehr so einfach möglich. Aber statt mich darüber zu ärgern, habe ich wieder Ruhe gefunden. Es gibt hier genug Sachen, um die wir uns kümmern müssen und die uns erfüllen.

Wohin geht die Stadt in Post-Corona-Zeiten? Ende dieses Jahrhunderts werden ja rund 70 Prozent der Menschen in ihr leben. An was muss die Stadtplanung denken?

Daniel Schneider: Ich glaube, da ist sie völlig überfordert – aber vielleicht nicht hoffnungslos. Es gibt natürlich grosse Herausforderungen. Die fangen ganz banal bei Sachen wie Energieerzeugung und Müllentsorgung an. Das sind sehr anspruchsvolle Themen aufgrund der Masse und der Geschwindigkeit der Verstädterung. Der einzige Weg wäre, die Stadt wieder aufzubrechen. Weil immer noch verdichteter bauen, immer mehr, immer höher, immer grösser ist meiner Meinung nach nicht der richtige Trend. Vielleicht müssen Land und Stadt, grün und urban viel mehr miteinander verwoben werden, damit der Mensch nicht Stadtflucht betreiben muss, um sich zu erholen. Vielleicht muss das alles wieder ein ganzheitlicher Lebenszyklus werden.

Philip Wohlfarth: Gleichzeitig habe ich aber manchmal das Gefühl, dass die Leute Kühe und Weiden in der Stadt suchen – und das eine schliesst das andere ja klar aus. Stadt hat eine Identität, Land auch.

Daniel Schneider: Ich möchte hierzu ein faszinierendes Beispiel bringen, nämlich New York. Die verdichtetsten, betoniertesten, asphaltiertesten, neonbeleuchtetsten Quadratmeter dieses Planeten – und doch gibt es ein Rechteck in der Mitte, wie ausgestanzt auf einer Briefmarke, den Central Park. In meinen Augen ist das der Grund, wieso New York überhaupt lebenswert ist. Er ist die grüne Lunge der Stadt. Jeder New Yorker würde sich wahrscheinlich zuerst die Hand abschneiden, bevor der Park zugebaut wird. Wasser und Grün sind zwei Sehnsuchtsbeziehungen des Menschen. Wenn die vorhanden sind, verträgt er auch Hochhäuser und Beton.

Wenn wir bei der Stadtarchitektur sind: Wir können im Moment feststellen, dass Architektur vielerorts mehr und mehr austauschbar wird. Muss sich die Architektur gegen diese Vereinheitlichung wehren?

Daniel Schneider: Die Frage ist hier zuerst einmal, was die Aufgabe der Architektur ist. Und da gibt es verschiedene Sichtweisen. Es gibt eine expressionistische Architektur, die spricht von Empörung, Mut, Lebensfreude. Diese Architektur dient nicht dem Selbstzweck, aber sie ist Ausdruck einer Haltung. Dann gibt es die Sichtweise »form follows function«. Die besagt, die Architektur sei eine wichtige identitätsstiftende Hülle, die aber stark mit ihrer Funktion in Bezug stehe.

Philip Wohlfarth: Parallel haben wir in unserer Gesellschaft sehr viele Gesetzgebungen, die alles bis ins kleinste Detail regeln. Das führt oft zu Minimierung der Gestaltungsfreiheit und Kostensteigerungen…bis schlussendlich Mainstream-Gebäude entstehen. Gelegentlich gibt es Ausreisser-Objekte, die zwar ganz lange brauchen, bis sie bewilligt werden. Wenn sie es denn schaffen, dann sind sie etwas Besonderes.

Die Formvielfalt ist also verloren gegangen. Wo ist sie hin?

Daniel Schneider: Nebst dem, wie ein Gebäude wahrgenommen wird, ist uns auch wichtig, was es für eine Atmosphäre ausstrahlt. Sowohl die innere als auch die um das Gebäude herum. Ich beeinflusse ja mit einem Gebäude auch den Ort. Und hier geht es eben um die Funktion, und zwar nicht nur diejenige des Gebäudes selbst, sondern auch um die Funktion im städtischen Raum.

Philip Wohlfarth: Wir bauen ja nicht für uns selbst, sondern für die Menschen. Da tritt sogar manchmal die Gestaltung eher etwas in den Hintergrund.

Kennen Sie das japanische Moriyama-Haus? Dort wurden Kuben so angeordnet, dass dazwischen asymmetrische Räume entstehen, kleine Marktplätze sozusagen. Was halten Sie von solchen Konzepten?

Daniel Schneider: Ich hab mal in São Paulo gelebt, eine spannende Stadt. Und da gibt es viele Favelas. Eine Favela folgt einer organischen Logik, sie wächst so, wie sie entsteht. Da gibt es keine geordneten Besitzverhältnisse, keine Grundstücksgrenzen, keine Abstandsregelungen. Stattdessen hat man eine komplette Freiheit von Material, Farbe und Form – aber auch von Besitz. Und die Japaner waren mir da immer zu formalistisch.

Heisst das, dass wir von den Slums lernen sollten?

Philip Wohlfarth: Ja. Diese Struktur wächst dynamisch und vernetzt. Wichtig ist auch die Kommunikation: Eine Einheit, die nach innen kommuniziert, macht ja gar keinen Sinn. In der Favela wird vertikal und horizontal kommuniziert – und das entsteht ganz intuitiv. Wir bei uns müssen das aber zuerst wieder lernen.

Wird in diesem Zusammenhang auch Nachbarschaft wieder wichtiger?

Daniel Schneider: Ich spann jetzt mal den Bogen zum Hotel. Ein Hotel ist ja ein Mikrokosmos, wie eine kleine Stadt. Man hat da eine Privatfläche, ein Zimmer nur für sich. Und dann gibt es gemeinschaftliche Flächen, wo Essen, Begegnung, Sport und Entspannung stattfinden. Eine Favela ist auch so eine Art Mikrokosmos. Wir konzentrieren uns hier derzeit sehr auf den individuellen Raum und weniger auf den allgemeinen, das ist beim Hotel anders. Da legt man sehr stark den Fokus auf die Begegnungszonen. Vielleicht müssen unsere Städte das wieder vermehrt lernen.

Man gibt als Architekt auch immer ein Statement ab. Welche Botschaft will Monoplan übermitteln?

Daniel Schneider: Mehrwert. Wir wollen für den städtischen Raum einen Mehrwert schaffen. Und jetzt kommt’s, ganz wichtig: einen Mehrwert auch für den Nutzer schaffen. Wir wollen nicht, dass unsere Architektur nur dem Selbstzweck dient. Die erste Frage, die wir uns im Büro bei einem neuen Projekt stellen, lautet: Was soll hier der Mehrwert sein? Viele fangen bei der Fassade an – wir nicht.

Philip Wohlfarth: Das zweite Stichwort ist Authentizität. Weil jedes Gebäude, jeder Ort eine Identität hat, muss man authentisch auf diese Orte reagieren. Natürlich sind es künstliche Welten, die wir schaffen, aber man muss auch die Aufenthaltsqualität eines Ortes spüren.

Apropos Fassade: Die Fassade der Elbphilharmonie in Hamburg kennen wir ja alle. Dieses Gebäude hat der Stadt unheimlich viel Identität gegeben. Es ist sozusagen ein Pilgerort entstanden. Die gleiche Stadt macht nun Vorschriften, dass auf jedes Eigenheim eine Solaranlage gehört. Das steht ja diametral im Gegensatz zur architektonischen und gestalterischen Freiheit der Elbphilharmonie… Was halten Sie von solchen Auflagen?

Daniel Schneider: Unser Leben und Alltag bestehen ja nur aus Auflagen. Und Baubewilligungen. Und Einschränken. Und Verordnungen.

Philip Wohlfarth: Und der Bereich, den wir dann irgendwo dazwischen noch finden…

Daniel Schneider: … der steht uns dann frei. Ein spannendes Feld: Zwischen der individuellen Freiheit des Eigenheimbesitzers und dem gesellschaftlichen Konsens.

Die letzte Frage: Wenn Sie eine Autobiografie von sich verfassen würden, was hätte die für einen Titel?

Philip Wohlfarth: Offenheit bringt uns weiter.

Daniel Schneider: Alles wird gut.

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